Foto: Sayo Garcia | Unsplash

Depressionen und Instagram – der kleine Dämon scrollt immer mit

Instagram ist voll mit dem perfekten Leben. Wie geht man damit um, wenn es einem selbst gerade gar nicht gut geht? Unsere Community-Autorin hat Depressionen und gelernt, auch bei Instagram offen darüber zu sprechen.

Auf Instagram konnte ich vor die Tür gehen, im echten Leben nicht

Ich bin 23 Jahre alt und habe die letzten drei Jahre damit verbracht in Großstädten wie Dortmund und Leipzig zu leben, zu studieren und mit meiner Psyche klarzukommen. Vor zwei Jahren bekam ich die Diagnose Borderline, zusätzlich zu meiner schon vorhandenen Depression mit Angst-und Panikstörung. Weit weg vom traumhaften Schein der Instagram-Welt verkroch ich mich täglich in meinem Zimmer, konnte vor Panik nicht mehr einkaufen gehen, überhaupt das Haus verlassen.

Also flüchtete ich mich digital in die Welt vor meiner Tür. Ich konnte bestimmen, was ich mir dort anschaue. Make-Up-Tutorials von Gothic Girls, die Inneneinrichtung von folkigen Boho-Pärchen und die Antifa Riots vor der eigenen Haustür. Eigentlich okay, sich das, wenn man eh nicht raus kann, aus einem Sicherheitsabstand anzuschauen.

Instagram betrachtet das Leben durch einen Happyness-Filter

Doch genau dieser Sicherheitsabstand wurde mir zum Verhängnis. Ich sah es als Realtitätsflucht, verglich aber in Wahrheit immer alles mit mir und meiner momentanen Situation. Diese Leben verkörperten ein Ziel, das ich auch hatte: unbeschwert sein. Doch was ich dabei auch immer wieder vergaß war, dass dies auch nur gestellte Ausschnitte des Lebens waren. Niemand von denen war 24/7
happy, auch wenn die Selfies mit Mate und umringt von ebenfalls glücklichen Freunden anderes suggerierten. Jede*r hatte hinter der Fassade Probleme. Nur war die Fassade so gut aufgebaut, dass man kaum eine Chance hatte, dahinter zu schauen.

Dann blickte ich auf mein eigenes Instagram-Profil. Die 10,4 Tausend Menschen, die mir zu dem Zeitpunkt folgten, dachten scheinbar auch, dass ich ein ziemlich cooles Leben führen würde. Nur gestellte Selfies mit Schminke, die ich gemacht hatte, vor Verabredungen, die ich kurzerhand wieder absagte, weil ich einfach nicht rauskonnte. Hübsch arrangierte Platten und Bücher, die meine einzigen Freuden zu der Zeit waren und für die ich extra ein kleines Loch auf meinem Boden freigeschaufelt hatte.

Das war alles nicht richtig, ich gehörte ebenso zu den Menschen, die ein schönes Leben im Internet faken. Denn an meinem Internet-Ich maß ich mich oft – auf dem Foto siehst du so dünn aus, wieso bist du jetzt so fett? Da sehen deine Haare so schön aus und was ist das jetzt für ein Knoten auf dem Kopf? Ich machte mich selbst fertig, mit meiner eigenen Internet-Präsenz.

Und wer bin ich?

Ich zog einen Schlussstrich, Anfang 2017 packte ich aus. Ich nahm ein Bild auf dem man mir ansah, dass ich momentan ein Wrack war und schrieb es in die Welt: „Ich habe Borderline und Depressionen und es geht mir beschissen“. Mir fiel eine riesige Last von den Schultern. Ich war ich und stellte mich von nun an auch so nach außen dar. Die Reaktionen, die ich bekam waren überwältigend. So viel Zuspruch und Ermutigung hatte ich nicht erwartet. Besonders von anderen Menschen, deren Fassaden so glatt und glitzernd waren. Seit diesem Tag schreibe ich offen über meine Erkrankungen und meinen Alltag mit ihnen und es hilft mir unglaublich. Ich bin dadurch ehrlicher zu mir selbst und stelle keine unerfüllbaren Erwartungen an mich.

Doch das war nur der positive Teil, es gibt immer noch genug Tage an denen ich mich mit anderen vergleiche. Instagram ist dabei Fluch und Segen zugleich. Du hast eine Welt voller gleichdenkender Menschen, mit denen du dich austauschen kannst und unter denen du Freund*innen finden kannst. Doch du hast immer auch einen kleinen Dämon im Gepäck, der mit durch die Feeds scrollt und dir sagt, dass du mehr wie XY sein solltest. Man ist nie hundertprozentig mit sich selbst im Reinen und diese App piekst genau in diese Wunde. Jede Kleinigkeit wird, wenn auch unterbewusst, verglichen. Ich ertappe mich mehrmals am Tag dabei, obwohl ich nun mehr darauf achte, wessen Content mir gut tut und welcher nicht.

Frieden mit dem Selbstwert-Dämon

Man kann seine eigene kleine Nische auf Instagram finden, besonders im Mental-Health-Bereich. Dort findet man viele Gleichgesinnte und Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Die Community, die man dort hat, gibt einem enorm viel Kraft und Informationen. Doch gerade dort muss man aufpassen mit seinem kleinen Selbstwert-Dämon. Denn da wird es gefährlich mit dem Vergleichen. Man achtet darauf, wem es konstant gut geht, ob man es hinter der Fassade auch so aussieht oder ob die Person tatsächlich so stark ist. In diese kleine Falle bin ich selbst schon oft genug getappt. So tun als wäre alles gut, damit niemand einen für schwach hält. So redet man sich selbst ein, dass alles gut ist, bis der große Zusammenbruch kommt.

Als psychisch Erkrankte*r sollte man darauf achten, welche Art von Content auf sozialen Medien man konsumiert und was dieser in einem auslöst, wie man sich dabei fühlt und ob es einem gut tut. Man lernt in der Therapie achtsamer mit sich umzugehen und dieses Verhalten sollte man auch auf seinen Internet-Konsum anwenden. Dann hat man auch Freude daran und kommt unbeschadet davon.

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