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Kinder fördern? So ein Quatsch. Über den pädagogischen Wert einer Furz-Konsole

In ihrer Kolumne „Familie und Gedöns“ schreibt Lisa über alles, womit sich Eltern so beschäftigen (müssen), diesmal: Was ist pädagogisch wertvoll?

Mache ich alles richtig?

Ich bin ja übrigens nicht eine von diesen ständig beschworenen Müttern, die verunsichert sind, nicht mehr ihrer Intuition folgen können, sich ständig und ausschließlich um das Wohl ihres Nachwuchses den Kopf zerbrechen. Nein, ich bin da total entspannt. Also, nur manchmal, da mache natürlich auch ich mir vielleicht mal den ein oder anderen Gedanken, wär ja auch komisch, wenn ich mich so gar nicht um die Belange meiner Kinder kümmern würde …

Ist es schlimm, dass wir heute in der Früh beim Bäcker ein Schoko-Brötchen gekauft haben, weil ich kein Dinkel-Möhren-Walnuss-Brot mehr im Haus hatte, das ich mit einer Scheibe Bio-Käse und einer Cherrytomate hätte belegen können? Warum essen die verdammten Kinder das Dinkel-Möhren-Walnuss-Brot nicht? Ist es schlimm, dass wir nach dem Schwimmkurs zwei Brausebonbons im fiesen Schwimmbad-Café gekauft haben? Kriegen die Kinder bald Skorbut? Ist es schlimm, dass das Kind jeden Abend lieber ein doofes Wickie-Hörspiel hört, anstatt was Gescheites vorgelesen zu bekommen? Ist es schlimm, dass das Kind mit zwei Jahren lieber den Pippi-Langstrumpf-Soundtrack auf dem iPad hört,
anstatt mit mir gemeinsam zu singen? Basteln wir eigentlich genug? Irgendwie basteln wir fast nie, das müssen wir ändern! Oh, jetzt ist ja bald Ostern, ich muss dringend Materialien für eine Oster-Bastelei besorgen! Reicht es eigentlich, wenn die Kinder aus der „Sendung mit der Maus“ erfahren, wie es den Flüchtlingen in Deutschland gerade geht? Ich sollte eine flüchtlingsbezogene Aktivität in der Kita organisieren, Empathiefähigkeit muss doch unbedingt so früh wie möglich ausgebildet werden!

Ist es schlimm, dass das zweijährige Kind ständig harte Gegenstände als Keule benutzt? Ist es schlimm, dass die Kinder ständig miteinander streiten? Ist es schlimm, dass die Kinder Nachbarn auf dem Flur nicht grüßen? Warum verdammt nochmal isst das Kind keine Sauce zu den Nudeln? Ist es schlimm, dass das Kind erst einmal woanders übernachtet hat, jetzt wo doch bald die Kita-Reise ansteht? Ist es schlimm, dass ich nach der Arbeit so wenig Bock habe, mich auf die Playmobil- und Lego-Arrangements des Kindes einzulassen? Ist es schlimm, dass das Kind nach dem Schwimmkurs nicht schwimmen kann? Spielen wir oft genug Ball? Wir müssen mehr basteln! Sind wir genug an der frischen Luft? Und die Kinder sollten öfter beim Kochen und Backen mithelfen, habe gelesen, dass das gut ist für die Entwicklung gesunder Ernährungsgewohnheiten! Lesen wir genug Bücher, die den Kindern positive Rollenvorbilder vermitteln? Ist es schlimm, dass das vierjährige Kind die ganze Zeit nur Comics lesen will? Ist es deshalb so grob, weil wir es schon mit drei Jahren Lucky-Luke- und Asterix-Comics zu lesen gegeben haben? Aber ich fand Obelix früher doch auch toll und habe trotzdem niemanden mit Hinkelsteinen beworfen! Und überhaupt, ich muss die Kinder-Bibliothek pädagogisch aufrüsten! Ist es schlimm, dass das zweijährige Kind zurzeit jeden Abend dasselbe Buch lesen will? Ein vielfältiges Angebot ist doch so wichtig! Was wären denn pädagogisch wertvolle Bücher? Hotzenplotz? Pippi Langstrumpf? Vielleicht irgendwas, womit die Empathiefähigkeit geschult wird? Sollte ich vielleicht mal bei der ,Stiftung Lesen’ nachforschen, was pädagogisch wertvoll ist?…

Locker machen, läuft doch

Faszinierend ist, dass es Leute gibt, die von solchen Gedanken wirklich gänzlich unbefleckt sind. Wann immer ich mich mit obigen Überlegungen an den zweiten Erwachsenen im Haushalt wende, sagt der: „Mensch, jetzt mach dir doch nicht ständig so einen Kopf wegen dem ganzen Quatsch, läuft doch alles super!“. Klar, dass er sich nicht bei der „Stiftung
Lesen“ informiert, bevor er die Kinder-Bibliothek erweitert.

Vor ein paar Tagen kam ein Paket an. Vor dem Auspacken freute sich der zweite Erwachsene wie ein kleines Kind. „Ich hab ein Buch bestellt, da hat die ganze Familie was davon!“, frohlockte er. Nämlich: Die gebundene Ausgabe von „Fürze, der ultimative Blähführer: Buch mit Soundkonsole“. Aus der Titelbeschreibung: „Vom leichten Zischen des Tödlichen Stillen zum rauhbautzigen Konzert des Erdbebenknallers identifiziert dieses illustrierte Handbuch Erkennungsmerkmale, Stimme, Habitat und Ausbreitung von zehn wohlbekannten rückwärtigen Ausdünstungen, so dass der geneigte Leser jederzeit in der Lage ist herauszufinden, wer denn nun einen ziehen ließ. Wer dann immer noch unsicher ist, wie sich ein Arschbacken-Bienenschwarm tatsächlich anhört, kann einfach den entsprechenden Knopf der beigehefteten Furzmaschine drücken, die jede Abgasung akkurat reproduziert – ganz ohne Geruchsbelästigung!“. Immerhin muss ich keine Ausreden mehr erfinden, wenn ich nicht Playmobil oder Lego spielen will, die Kinder hängen jetzt nur noch an der Sound-Konsole.

Ich bin keine überbesorgte, verunsicherte Mutter. Ich bin das Korrektiv.

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