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Keine Anklage, kein Schutz: Was ich nach einer versuchten Vergewaltigung erlebte

Ich kann mich in jede der Frauen hineinversetzen, die in Köln sexualisierte Gewalt erlebt haben. Denn auch ich wurde Opfer – und hinterher von der Polizei und anderen Stellen alleingelassen.

 

Eine Geschichte über Männermacht und Staatsmacht

Und ja, es spielt absolut keine Rolle, woher die Täter stammen. Der Schmerz und die erlittenen Qualen sind stets die gleichen.

Dies ist eine Geschichte über Macht. Männermacht und Staatsmacht. Sie sollte eigentlich nie erzählt werden, doch die Reaktionen männlicher Kommentatoren und selbsternannter Experten für sexualisierte Gewalt zu aktuellen Ereignissen haben mich meine Meinung ändern lassen, vielleicht sogar provoziert und herausgefordert.

Der Ursprung

2009 war ich 19 Jahre alt und wurde Opfer sexueller Nötigung und versuchter Vergewaltigung. Auf engem Raum, drei Männer und ich, die Peiniger etwa in meinem Alter. So schrecklich die wiederholten, zum Teil gewalttätigen Übergriffe waren, der eigentliche Alptraum begann, als es vorbei war. Als ich zu Hause ankam und dachte, jetzt sei alles vorbei, jetzt wird alles gut.

Am nächsten Morgen, einem heißen Augusttag, erstattete ich brav Anzeige und beantragte vorsorglich Kontaktsperre und Bannmeile. In diesen Tagen riefen die Täter mehrmals an, ich drückte fleißig weg. Was sie mir wohl sagen wollten? Auf die erste Anzeige folgte eine zweite, sowie zwei Vernehmungen in einem Kommissariat und ein schriftlicher Einspruch gegen die Einstellung des Verfahrens, verfasst von einem Teenager und zum Teil handschriftlich. Bis Jahresende war der Vorgang erledigt, eine Anklage wurde nie erhoben.

Die zuständige Kommissarin hat mich mehrmals wissen lassen, dass sie mir nicht glaubt. Einer der Täter wurde als unabhängiger Zeuge eingestuft. Der unabhängige Zeuge sagte, nicht sehr überraschend, zu Gunsten seiner Kumpanen aus. Damit war der Vorfall erledigt, auch für den Staatsanwalt. Diese Stellen boten keinerlei Hilfe an, das 19-jährige Mädchen wurde in seiner Schutzlosigkeit gefühlt alleingelassen. Erwähnt werden sollte jedoch der Opferschutzverein Weißer Ring, der mir anwaltliche Erstberatung und Vertretung während des Ermittlungsverfahrens ermöglichte.

Der Schmerz

Was blieb, jenseits des Gefühls der mir widerfahrenen absoluten Ungerechtigkeit, waren die Ängste, die mich seitdem begleiten. Die ersten drei bis vier Jahre danach waren die schlimmsten. Jeder Nachhauseweg nach Sonnenuntergang fühlte sich an wie ein Rennen ums Überleben; dabei ständig das ganz genaue Hinhören: Sind da etwa Schritte hinter mir? Wem sie wohl gehören, vielleicht einem der Täter von 2009? Die Erlösung kam stets mit der Haustür. Außer, wenn das Schloss mal nicht zuschlug und ich nicht sicher sein konnte, dass mir kein Fremder ins Haus folgen konnte.

Das sind wohl Ängste, die viele Frauen kennen. Besonders solche, denen schon einmal oder sogar mehrmals Gewalt angetan wurde. Wie viele solcher Übergriffe werden wohl nie angezeigt? Und wie viele der Anzeigen führen zu keinen oder kaum spürbaren Strafen für die Täter? Zu Gerechtigkeit? Die Strafe für die Opfer, das jahre-, vielleicht sogar lebenslange Leben in Angst ist wohl in vielen Fällen die einzige Bestrafung, die jemandem in diesen Tragödien widerfährt.

Die Folgen

Der Staat ist hier in der Verantwortung, mehr Beratungs- und Hilfsangebote für Opfer bereitzustellen und vor allem die Beamten besser zu schulen – weniger Empathie als bei der Polizei und im Kommissariat habe ich selten erlebt. Es wäre schön, wenn sich hier etwas zum Besseren wendet.

Was mich aber wütend macht, sind diverse, vor allem männliche Kommentatoren, die nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht das den Frauen Widerfahrene als harmloses Begrapsche verhöhnen. Es ist eine Verletzung, eine tiefe Wunde, die bei vielen womöglich sehr lange nicht verheilen und sie in ihrem Alltag behindern, zumindest jedoch beeinflussen wird. Für mich sind diese Verharmlosungen weltfremd, eiskalt und zu verurteilen – ganz unabhängig davon, wer die Täter waren. 

Allen, die sich zum Kommentieren berufen gefühlt haben, aber das Leid der Frauen gar nicht oder höchstens am Rande ihrer diversen Artikel behandelten, würde ich empfehlen, sich Erfahrungsberichte von Opfern sexualisierter Gewalt durchzulesen und zu versuchen, sich in die Betroffenen hineinzufühlen. Ich hoffe, dass das auch als Mann möglich ist.


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