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Aushalten oder hinschmeißen? Wie du deine Beziehung retten kannst

Es fing doch mal so gut an … und jetzt? Unsere Community-Autorin Mira erklärt, wie du die nervigen Eigenschaften deines Partners erkennst und wie du darauf richtig reagierst.

Irgendwann kommt der Alltag

Spätestens nach zwei Jahren ist es soweit. Mein Partner deckt Seiten an mir auf, die ich bisher noch gar nicht kannte und auch nie kennenlernen wollte. Plötzlich ertappe ich mich dabei, wie beleidigende Worte meinen Mund verlassen, Geschirr durch die Wohnung fliegt oder ich hysterisch schluchzend auf dem Klodeckel vor mich hin heule.

Wie sind wir, wie bin ICH bloß dahin gekommen?

Nun stellt sich die alles entscheidende Frage: Gehen oder bleiben? Aushalten oder hinschmeißen? Lieber einen neuen Versuch starten á la „Beim nächsten Mann wird alles anders?“ Ich rate davon ab. Denn eines ist sicher: Beim nächsten Mann, bei der nächsten Frau wird sicher einiges anders. Doch deine Gefühlsreaktionen werden die gleichen sein! Besser ist es, du findest heraus, wie du dich in Gegenwart bestimmter Persönlichkeiten fühlst. Hier kannst du herausfinden, was auf unbewusster Ebene zwischen dir und deinem Partner abgeht.  Dort findet nämlich der wahre Austausch statt. Und da schlummert auch der „blinde Fleck“: Ein Aspekt deiner Persönlichkeit, der dir selbst überhaupt nicht bewusst ist. Man könnte ihn auch den „wunden Punkt“ nennen.

Worüber streiten wir eigentlich?

Wenn wir mal davon ausgehen, dass jeder Mensch einen „blinden Fleck“ hat, dann droht die Gefahr, dass sich in einer Beziehung zwei blinde Flecken herrlich miteinander streiten können, ohne dass wir davon etwas mitbekommen. Das heißt, dass wir vermeintlich über die Zahnpasta-Tube streiten, die nicht zugeschraubt wird – ohne den Kern des Konfliktes zu sehen.

Erst wenn du deinen blinden Fleck, die Wurzel deiner eigenen Unzufriedenheit, erkannt hast, bist du in der Lage, etwas an deinem Beziehungsverhalten zu ändern. Solange du dazu nicht bereit bist, bist du übrigens auch nicht in der Lage, dein Beuteschema zu verändern – selbst wenn es dir schon viel Liebesleid beschert hat.

Das Enneagramm, das ich in eine moderne Sprache übersetzt habe, beschreibt „blinde Flecken“. Ich werde dir jeden Fleck ausführlich beschreiben. Die Krux an der Sache: Du wirst den blinden Fleck deines Partners oder deiner Partnerin schneller entdecken als deinen eigenen. Das liegt daran, dass der blinde Fleck sich zwischen dein Selbstbild und das Fremdbild, das andere von dir haben, gemogelt hat. Die Menschen in deinem Umfeld sehen in deinem Auftreten und Verhalten oftmals einen Aspekt deiner Persönlichkeit, für den du selbst blind bist.

Streit deckt den blinden Fleck auf

Um den blinden Fleck der eigenen Persönlichkeit zu erkennen, brauchst du einen Spiegel: Einen Menschen, der objektiv ist und ehrliches Feedback geben kann. Am besten einen Menschen, der dich noch nicht so gut kennt (Freunde und Familienangehörige sind eher nicht geeignet).

Das allein reicht jedoch nicht: Du brauchst auch Mut und Ehrlichkeit dir selbst gegenüber. Und an dieser Stelle kommt wieder dein Partner ins Spiel: Während eines handfesten Streits ist der geliebte Mensch an deiner Seite ehrlich. Er präsentiert dir seine schonungslose Sicht auf deinen Charakter.

Im Streit kann dies eine verletzende Waffe sein. Im Ruhezustand hingegen kannst du die Worte, die dein Partner im Konflikt über dich sagt, als wertvolle Hilfestellung nutzen, um deinen eigenen blinden Fleck aufzudecken.

Und andersherum funktioniert es ebenso gut: Indem du ein Verständnis für den blinden Fleck deines Partners entwickelst, hilft dir das, einen Schritt aus der Beziehung herauszutreten und ein Gespür für deinen eigenen blinden Fleck zu entwickeln. Hilfreich ist die Fragestellung: Wie fühle ich mich in Gegenwart meines Partners?

So kannst du erkennen, dass dein Partner aus seiner unbewussten Struktur heraus agiert. Dass er gar nicht vorsätzlich handelt, um dich zu verletzen – auch wenn du das manchmal so empfindest. Wenn du deinen Partner auf einer tieferen Ebene verstehen und ihm seine Macken und seine blinden Flecke zugestehen willst, erhältst du einen neutraleren Blick auf das, was da zwischen euch vor sich geht. Und du kannst an deinen Partner appellieren, dich und deine Schwächen auszuhalten.

Welchen blinden Fleck hat dein Partner? Hier kannst du es herausfinden. Ich beschreibe im folgenden fünf blinde Flecken.

Blinder Fleck Nr. 1: Rechthaberei

Wie ist es am Anfang?

Endlich jemand, der weiß, wo es im Leben langgeht. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstruktur sind Vorbilder an Selbstdisziplin. Sie haben einen hohen Anspruch an sich selbst und an andere, sind ehrgeizig und zielstrebig, sie haben Ziele – und die Dinge unter Kontrolle.

So ist es nach zwei Jahren:

Genauigkeit und ein hoher Anspruch an die eigene Leistung: So kommt man im Leben weiter. Übersteigert sich die Liebe zum Detail, wird sie jedoch zur pingeligen Erbsenzählerei. Dann überträgt sich die Unzufriedenheit über die eigene Leistung auch auf das Umfeld. Wer die Messlatte für sich selbst und andere unerreichbar hoch hängt, wird permanent unzufrieden sein. Darunter leidet die Ausstrahlung – und der Alltag wird verdammt anstrengend.

Wie fühlt man sich als Partner?

Kontrolliert, kritisiert und heruntergeputzt. Die eigene Frustration wird mit der Zeit immer größer, weil man das Gefühl hat, dem Partner nie etwas recht machen zu können. Er weiß es ja eh besser! Und permanent möchte er Recht haben – weil angeblich nur er genau weiß, wie’s geht.

Was kann man machen?

Loben, loben, loben – und dem Partner nach und nach versichern, dass 90 Prozent manchmal auch genügen.

Der Mensch mit diesem blinden Fleck hat irgendwann in seinem Leben die Erfahrung gemacht, dass die eigene Leistung niemals ausreicht, um anerkannt und geliebt zu werden. Daraus hat er die Strategie entwickelt, sich selbst immer alles abzuverlangen – leiderauf Kosten der Lebensfreude.

Blinder Fleck Nr. 2: Manipulation

Wie ist es am Anfang?

Wow, ein Partner, der einem jeden Wunsch von den Lippen abliest! Der alles dafür tut, damit man glücklich ist. Der ungefragt hilft, immer an Blumen denkt, großzügige Geschenke macht. Er kümmert sich um Freunde, ist aufmerksam gegenüber der Familie, den Kollegen und den Nachbarn.

So ist es nach zwei Jahren:

Früher oder später klebt die geballte Aufmerksamkeit wie Kaugummi. Und sie wird zäh, weil die Eigenständigkeit stiften geht – der Partner ist ja immer eine Idee schneller als man selbst. Es fällt auf, dass dieser Mensch zwar geben, aber nicht nehmen kann. Wer alle anderen verwöhnt und sich selbst dabei vergisst, wird manipulativ. Man möchte diesem Partner sagen: „Denk doch nicht ständig an mich – ich will auch mal alleine sein.“

Wie fühlt man sich als Partner?

Erpresst. Weil man sich nie ausreichend bedanken kann und spürt, dass man sich auch nie in dem Maße revanchieren kann, wie der Partner das erwartet. Das leidende Gesicht und das ständige „Ich meine es ja nur gut“ hängen einem irgendwann zum Hals raus.

Was kann man machen?

Das Gefühl vermitteln, dass der Partner, auch ohne etwas zu tun, erwünscht ist. Denn das fehlt ihm am meisten. Er hat die Erfahrung gemacht, keine wirkliche Daseinsberechtigung zu haben. Daraus hat er die Strategie entwickelt, sich durch aufmerksames und altruistisches Handeln Liebe zu „erkaufen“. Dieser Mensch hat den größten Liebeshunger.

Blinder Fleck Nr. 3 : Selbstverleugnung

Wie ist es am Anfang?

Toll ist es mit einem Erfolgsmenschen an der Seite: Er kennt die wichtigen Leute, ist gut vernetzt, wohlhabend und charming. Dieser Mensch motiviert und inspiriert – weil er selbst jeden Morgen mit zig neuen Ideen aufsteht und sein Umfeld begeistert.

So ist es nach zwei Jahren:

Du hast es mit einem Workaholic zu tun, der den Erfolg auf allen Ebenen sucht: Im Job und im Privatleben. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstruktur arbeiten immer. Wer jedoch versucht, allen Rollen gerecht zu werden, geht irgendwann selbst dabei drauf. Wenn die Arbeit und der sichtbare Erfolg permanent über allem stehen, bleibt für den Partner kaum noch Aufmerksamkeit übrig.

Wie fühlt man sich als Partner?

An die Seite gestellt. Die Aufmerksamkeit des Partners ist immer woanders, Arbeit und Erfolg haben zu jeder Zeit Vorrang. So fühlt man sich irgendwann wie das fünfte Rad am Wagen und fragt sich, ob der Partner es überhaupt merken würde, wenn man nicht mehr da wäre.

Was kann man machen?

Dieser Mensch braucht das Gefühl, einfach nur für das geliebt zu werden, was er ist – und nicht für das, was er leistet. Er hat die Erfahrung gemacht, dass er nur geliebt wird, wenn er Erwartungen erfüllt. Daraus ist die Strategie entstanden, sich wie ein Chamäleon dem Umfeld anzupassen und hart für die Anerkennung zu arbeiten.

Blinder Fleck Nr. 4: Hang zum Drama

Wie ist es am Anfang?

Du bist begeistert von seiner Feinfühligkeit und seinem ausgeprägten Sinn für Romantik. Ein Mensch mit intensiven Gefühlen, wie wunderbar! Du bewunderst seine individuelle Haltung, denn dieser Mensch schert sich nicht darum, was andere von ihm denken. Er schwimmt gegen den Strom und lebt ungebremst seinen Sinn für Ästhetik aus. Hach!

So ist es nach zwei Jahren:

Der Alltag wird zunehmend anstrengend, denn ohne Drama geht es nicht. Ein intensives Leben will schließlich intensiv gelebt werden. Stets den Status des Besonderen aufrecht zu erhalten, kann echt nerven. Und langsam schleicht sich das Gefühl ein: „Irgendwas ist immer! Meinem Lieblingsmenschen fehlt einfach das Talent zum Glücklichsein.“

Wie fühlt man sich als Partner?

Überfordert durch den Hang zum Drama. Man kann mit diesem Menschen nicht „einfach nur mal so“ zusammen sein, weil er Glücksgefühle auf Dauer gar nicht aushalten kann. Das macht dich hilflos. Denn egal, was du anstellst – dieser Mensch liebt dich am meisten, wenn du nicht da bist.

Was kann man machen?

Anerkennung zeigen für die Besonderheit dieses Menschen. Er hat irgendwann die Erfahrung gemacht, dass Glücklichsein nicht erlaubt war. Deshalb ist er in eine Parallelwelt geflüchtet, nach der er sich im langweiligen und banalen Alltag zurücksehnt. Lass ihn träumen – und sei da.

Blinder Fleck Nr. 5: Eigenbrötelei

Wie ist es am Anfang?

Einen klugen Kopf an der Seite zu haben, mit dem man nächtelang diskutieren kann – brillant! Und auch sonst hat man es mit einem faszinierenden Menschen zu tun: Uneitel, genügsam, unaufgeregt. Kein Showmaker, sondern ein pragmatischer, handfester Zeitgenosse.

So ist es nach zwei Jahren:

Wissen ist Macht – schafft aber keine Nähe. Nur wenige Kopfgenies schaffen es, ihr Wissen verständlich zu machen und andere Menschen an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Häufig bleibt der Gefühlsaustausch auf der Strecke, genauso wie die Fähigkeit zum Genuss.

Wie fühlt man sich als Partner?

Alleingelassen: Mit den eigenen Gefühlen, die nicht gespiegelt beziehungsweise erwidert werden – und auch im Alltag. Denn mit normalen, weltlichen Dingen wie Small Talk oder Wochenendeinkauf hat dieser Partner nicht viel am Hut. Sein Zufluchtsort ist sein Kopf – und da ist er lieber allein. Romantik, körperliche Nähe oder einfach nur mal in den Tag zu träumen sind nicht seine Sache.

Was kann man machen?

Ihm nur langsam und in kleinen Dosen auf die Pelle rücken. Er hat früh die Erfahrung gemacht, dass sein Bedürfnis nach Raum und Freiheit nicht respektiert wurde. Daraus entwickelte sich die Strategie, sich aus allem rauszuziehen, um bloß nicht wieder bedrängt zu werden. Er will selbst entscheiden können, wann Nähe okay ist und wann nicht.

Blinder Fleck Nr. 6a: Kontrollwahn

Wie ist es am Anfang?

Du hast einen treuen und loyalen Menschen gefunden, der nicht an kurzfristigen Abenteuern interessiert ist und nach einer verlässlichen, langfristigen Beziehung sucht. Er ist offen, interessiert und freundlich, schätzt Struktur und ein geordnetes Leben und geht niemals leichtfertig mit Besitz, dem Arbeitsplatz oder Freundschaften um.

So ist es nach zwei Jahren:

Der Sinn für Planung und Struktur wird zum Kontrollzwang. Der Partner beginnt, die Loyalität in der Beziehung zu testen. Eifersucht spielt eine große Rolle. Menschen mit dieser Persönlichkeitsstruktur haben einen Hang zu Worst-Case-Szenarien. Sie zweifeln ständig, hinterfragen alles, wollen sich übermäßig absichern und können nicht vertrauen.

Wie fühlt man sich als Partner?

Beobachtet, angezweifelt und getestet. Man leidet unter dem mangelnden Vertrauen, das einem entgegengebracht wird. Die Eifersuchtsszenarien und die fehlende Spontanität kommen erschwerend hinzu.

Was kann man machen?

Versuchen, Sicherheit zu geben. Offene Worte, bei der Wahrheit bleiben, bloß keine Geheimnisse. Dieser Mensch hat die Erfahrung gemacht, dass man nicht vertrauen darf – weil jemand das Vertrauen missbraucht hat und einfach gegangen ist. Meistens war es der Vater. Die daraus entwickelte Gegenstrategie: Alles und jeden auf die Probe stellen. Wichtig: Das ist nie persönlich gemeint.

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